Walzer, Punks & Schwarzes Ice: Die Szenarien - etwas kritischer betrachtet

 

 

Walzer, Punks & Schwarzes Ice ist das erste der drei Quellenbücher zu Deutschland in den Schatten, in dessen Appendix Szenarien auftauchen. Nachdem schon im Target : UCAS Szenario-vorschläge auftauchten, scheint diese Idee wohl zu interessant zu sein, um sie nicht zu übernehmen. Die Frage dabei ist nicht, ob eine Adaption der Idee legitim ist oder nicht sondern vielmehr ob die deutschen Szenarien mit den amerikanischen mithalten können. Beide stammen schließlich aus einem offiziellen Quellenbuch zu Shadowrun.

 

 

Familienvereinigung:

 

Dieses Szenario ist eigentlich die typische Such- und Rettungsgeschichte. Die Spieler sollen eine Tochter aus gutem Hause, die aus welchselbigem verschwunden ist, wieder zurückholen und müssen sie im Endeffekt vor den bösen Buben erretten.

Ob der in der Geschichte erwähnte medizinische Kurzwellensender in der SOX funktioniert, ist mehr als zweifelhaft, da die Funkwellen von der Radioaktivität der SOX derart gestört werden müßten, daß keine Übertragung möglich sein dürfte.

Woher besagter medizinischer Kurzwellensender überhaupt kommen soll, ist die nächste gute Frage. Sollte es sich hierbei um ein BuMoNa-Armband handeln, kann erstens nur BuMoNa die Lebenszeichen empfangen ( wenn überhaupt ) und zweitens nur dann, wenn der Patient den Notfall-Mechanismus aktiviert bzw. sich sein Gesundheitszustand sich so stark verschlechtert, daß der Not-fall-Mechanismus automatisch aktiviert wird.

Und es ist mehr als zweifelhaft, daß BuMoNa SIN-losem Straßendreck wie Schattenläufern Zu-gang zu den Empfangsfrequenzen gewährt. Außerdem klingt der " medizinische Kurzwellensender " etwas zu sehr nach John Carpenters " Die Klapperschlange ".

Was man hier als " klassische Filmvariante " bezeichnet, klingt sehr nach einem billigen Kampf-sportfilm, wenn nicht sogar nach einem uralten Computerspiel.

Post-Doomsday oder Roadmovie-Potential klingt zwar ganz toll, läßt sich aber in der SOX wohl kaum durchführen ( Post-Doomsday vielleicht, aber Roadmovie ? ). Interessant ist auch der Verweis auf Filme und die dazugehörenden Soundtracks insofern, als man diese Hinweise in den englischen Quellenbüchern vergeblich sucht. Vielleicht nehmen die Amerikaner ihre Szenariovorschläge auch zu ernst - oder die Autoren von W,P&SI ihre nicht ernst genug, wer weiß !?

Wenn man die ganze Zeit auf die Filme hinweist, kann man sich den Aufwand eigentlich sparen, die Szenarien überhaupt zu schreiben. Da viele Spielleiter die hier angesprochenen Filme gesehen haben oder noch sehen werden ( eine tolle Erfindung namens Videothek machts möglich ), sollten diese doch wohl in der Lage sein, auf diese Art von einfachstem Szenario selbst zu kommen.

Der absolute Hammer ist jedoch die Alternative, die von einem Absturz mit einem Sportflugzeug in der SOX und dem Auffinden der Person durch einen Peilsender handelt. Einmal abgesehen davon, daß das Sportflugzeug beim Eintritt in den Luftraum der SOX sofort abgeschossen worden wäre und

der Peilsender wegen der Radioaktivität nicht funktionieren würde eine andere Frage : Noch mehr in Richtung John Carpenter gehts wohl nicht, oder ? Ist das Mädchen vielleicht noch die Tochter eines Präsidenten oder so ? Dann sollte das Ganze vielleicht besser " Flucht aus der SOX " heißen.

Das Szenario " Familienvereinigung " ist nur schlecht geklaut, sonst nichts. Man erkennt die typi-sche Rollenverteilung ( Tochter aus gutem Hause als Opfer und radioaktiv verstrahlte Mutantenmen-schen als böse Wichte ) und einen Mangel an interessanten Ideen ( GÄHN ). Da dieses Szenario so einfach ist, daß wirklich jeder Spielleiter darauf kommen kann, stellt sich die Frage, warum es überhaupt in einem Quellenbuch auftaucht, das doch eigentlich Vorschläge liefern sollte, die eben nicht jedem sofort einfallen.

Sieht man sich hingegen die Szenarien aus dem Target : UCAS an, findet man dort kaum eine Idee, die man so eindeutig auf einen Film zurückführen könnte wie " Familienvereinigung ". Die Ideen dort sind sehr viel besser durchdacht, passen daher auch viel besser zum Quellenbuchteil und garantieren daher einen interessanten Shadowrun und keine billige Raubkopie.

 

 

Wanzenjagd:

 

Das nächste 1:1 Filmszenario. Der Kontakt zu einer Kolonie auf ...ähhh, Arkologie in der SOX ist abgerissen. Mehr ist zu dem ersten Teil der Story wohl nicht zu sagen, obwohl man sich jetzt darum streiten könnte, woher diese Idee geklaut ist - von dem zweiten Film einer bis jetzt vierteiligen Reihe oder aus einem 3D-Computerspiel. Wie einfallsreich.

Bei dem Rest der Story würde es allerdings einige Probleme geben. Zuerst ist da die Frage, warum der Konzern keine Zeit hat, ein eigenes Team loszuschicken. Man hat doch offensichtlich die Zeit, einen Schmidt loszuschicken und ein paar Schattenläufer einzukaufen. Warum der Konzern die Zeit, die er zum Anwerben von Schattenläufern benötigt, nicht zur Entsendung eines Konzernteams nutzt, ist irgendwie unverständlich. Zuletzt sei noch die Eingreiftruppe aus dem SOX-Artikel erwähnt, deren Zweck unklar geblieben ist. Selbst wenn der Konzern keine eigenen Truppen zur Verfügung hat ( was unwahrscheinlich ist ), warum fordert er dann nicht die Eingreiftruppe des Kontrollrats an ?

Die wäre sehr viel schneller da als irgendwelche Runner von außerhalb und durch ihre Verbindung zum Kontrollrat auch wesentlich kontrollierbarer als Schattenläufer.

Ein so heikle Sache wie eine Arkologie, in der streng geheime Forschungen betrieben werden, würde übrigens kein Konzern der Shadowrun-Welt ein paar Shadowrunnern überlassen. Warum ? Ganz einfach : Die Schattenläufer könnten etwas sehen, was sie nicht sehen sollten oder ein paar Daten stehlen, die sie bei ihrer Rückkehr der Konkurrenz verkaufen. Man stelle sich vor, die Schat-tenläufer gelangen in ein Labor voller menschlicher Versuchskaninchen und machen per Cyberka-mera ein paar schöne Bilder, die sie an einen freien Pressedienst ( sprich : Piraten ) abgeben. Oder sie einer Zeitung zuspielen, die einem anderen Konzern gehört. So dumm wird niemand sein.

Man kann außerdem davon ausgehen, daß wenn ein Konzern Forschungen betreibt, bei denen etwas schiefgehen kann, er auch ein " Aufräumteam " unterhält, das alle Spuren beseitigt. Wer beim Szenario " Wanzenjagd " an DNA / DOA denkt, liegt auch nicht ganz falsch, obwohl bei DNA / DOA die Spieler nicht zum Aufräumen, sondern zum Einbrechen ins Labor angeheuert werden.

Abschließend sei auch hier wieder gesagt, daß sich derart billige Raubkopien guter Filme in den anderen Quellenbüchern, die über Szenarien verfügen, nicht finden lassen. Wanzenjagd ist eine weitere Idee, auf die jeder kommen kann, der die entsprechenden Filme gesehen hat. Was dieses Szenario so besonders macht, daß es die Erwähnung in einem offiziellen Quellenbuch zu Deutschland in den Schatten verdient, ist nicht erkennbar.

Man hätte Szenarien wie diese etwas allgemeiner zusammenfassen und unter der Überschrift

" Filmszenarien " an den Anfang des Szenarienabschnitts setzen können. Das Ganze hätte dann viel-leicht eine Seite gefüllt und dem Spielleiter generelle Tips zur Verwendung von entsprechenden Fil-men im Zusammenhang mit der SOX gegeben. Man hätte den freiwerdenden Platz dann mit eigenen Szenarien füllen können. Aber das würde vorraussetzen, daß man sich selbst was ausdenkt und nicht immer wieder diverse Filme heranzieht.

Schatzsuche:

 

Man sollte es nach den beiden vorangegangenen Szenarien kaum für möglich halten, aber die Ideen zu " Schatzsuche " haben keinen direkten Bezug zu einem Film. Zwar findet man hier ein paar Ele-mente wieder, die man schon aus anderen Shadowrun-Abenteuern kennt ( die Sache mit dem Geist eines Verstorbenen kam schon in Ghost Story in Super Tuesday vor ), aber das kann man gelten lassen, da es sich hier nur um einen Szenariovorschlag, nicht um ein richtiges Abenteuer handelt.

Und da Super Tuesday noch nicht übersetzt ist, kann man sich hier sogar damit rausreden, man würde es nicht kennen, auch wenn man an anderer Stelle gerne auf amerikanische Quellenbücher wie das Bug City Quellenbuch oder das Coporate Security Handbook verweist.

 

 

Die große Jagd:

 

Die nächste geklaute Idee. Ebenso einfallslos wie " Familienvereinigung " und " Wanzenjagd " und mit mindestens ebenso vielen Ungereimtheiten. Und letztere sehen so aus :

Warum sollte der Kontrollrat einem Konzernexec die Jagd in der SOX gestatten ? Und da der Konzernexec sich auf dem Gelände befindet, daß die Arkologien umgibt, wäre der Kontrollrat für eine Genehmigung zuständig. Selbst wenn der Kontrollrat die Jagd erlauben würde, warum gibt er dem Konzernexec dann keine eigenen Leute mit, die die Gegend kennen ? Und warum hat unser toller Konzernexec keine eigenen Leibwächter ?

Diese kleine " Jagdgesellschaft " scheint außerdem von einer der Begegnungen im Asphalt-dschungel ( S. 65 ) inspiriert worden zu sein. Das auch hier wieder Filme herangezogen werden, zeugt einmal mehr von Einfallslosigkeit und braucht nicht weiter kommentiert zu werden. Dabei hätte man aus der Idee noch etwas ganz anderes machen können, ohne dabei immer gleich Filme heranzuzerren. Der Teil mit der Expedition geht da schon in die richtige Richtung, aber da dieser Teil nur als " Ersatzidee " vorgesehen ist, handelt es sich hier wohl mehr um Zufall als um Absicht. Ein blindes Huhn trinkt eben auch mal ´n Korn.

Die Idee hingegen, die Spieler zur Jagdbeute zu erklären, ist wieder eine 1:1 Übernahme aus einem Film. Da die SOX hochgradig radioaktiv verstrahlt ist, laufen die Spieler Gefahr, unheilbar verseucht zu werden. Und das ist nun einmal Fakt, auch wenn der SOX-Artikel dem Leser zu erzählen ver-sucht, Strahlenschäden seien vernachlässigbar. Das ist Unsinn und stimmt in keiner Weise mit den Angaben aus dem Bug City Quellenbuch ein, auf das man im SOX-Artikel so gerne verweist.

Diese Variante läßt übrigens den Spielern keine realistische Chance zum Überleben, da die Kon-zerngardisten, die die SOX bewachen, sofort das Feuer eröffnen würden, wenn sie die Runner sich-ten. Dieses Szenario ist nicht zu überleben - d.h. wenn man es halbwegs realistisch spielt natürlich.

 

 

Flucht:

 

Eine Geschichte, die die Spieler zu Versuchskaninchen eines Konzerns macht, birgt gewisse Gefah-ren. Eine davon ist, daß die Spieler, die während der Geschichte Versuchskaninchen waren, bei der ersten Gelegenheit, die sie wieder an eine derartige Geschichte erinnert, überreagieren und damit den neue Run Gefahr läuft, völlig aus der Bahn zu geraten - und das nur, weil man im Spieler auf einen bestimmten Knopf gedrückt hat. Und dazu muß der Spieler noch nicht einmal Opfer eines Versuchs geworden sein. Der Eindruck der Gefangenschaft und Hilflosigkeit ist völlig ausreichend.

Eine andere Gefahr ist, daß die Spieler das Handtuch werfen ( d.h. sich zurückziehen ), wenn es den Anschein hat, als liefe der Run wieder auf eine Gefangennahme der Spieler hinaus. Und schließ-lich wird die ganze Sache langweilig, wenn die Spieler immer wieder mit derselben für sie unerfreu-lichen Sache konfrontiert werden.

Angesichts der radioaktiven Strahlung, die im SOX-Artikel so gründlich unterschätzt wurde und mindestens so gründlich ungeklärt blieb, ist das hier ein weiteres Szenario, in dem die Spieler tödlich verseucht werden können und auf jeden Fall den Löffel reichen - sofern der Spielleiter ihnen nicht die entsprechenden Schutzanzüge zur Verfügung stellt.

Mit " Flucht " beklaut man sich hier sogar selbst. Geschichten wie Operation Hirnsturm ( übri-gens einen 1:1 Übersetzung von Operation Brainstorm, einem Filmtitel ) oder 12 Stunden aus dem Schattenlichter Abenteuerband, die wiederum eindeutig von diversen Filmen beeinflußt wur-den ( wenn nicht sogar von diesen Filmen kopiert sind ), sind hinlänglich bekannt und nichts neues.

Ich will nach Hause:

 

Was zuerst als eine der wenigen selbst erdachten Ideen aussieht, ist leider nichts neues. Man findet derartige Ideen in Bug City, Casualties of War aus Super Tuesday und natürlich Target : UCAS, obwohl die dort vorgestellten Varianten nicht nur wesentlich interessanter sind ( weil besser durch-dacht ), sondern auch Runs für ein Team, nicht für einen einzelnen Archetypen darstellen.

Und wenn jemand ein Team von Schattenläufer bezahlen kann, warum benutzt er nicht das Geld für besagte Schattenläufer, um sich eine gefälschte SIN zu kaufen oder jemanden mit dem Geld zu bestechen ? Dafür braucht man nicht unbedingt Schattenläufer.

Man kann natürlich den deutschen Fans sowas als tolle Idee verkaufen, aber auch nur dann, wenn diese die amerikanischen Quellenbücher nicht lesen und somit nicht wissen können, wo welche Idee zum ersten Mal aufgetaucht ist. Im deutschsprachigen Shadowrun vielleicht neu, aber nicht, wenn man das Shadowrun Universum als Ganzes betrachtet. Allerhöchstens für Anfänger brauchbar.

 

 

Mein Kuchen:

 

Der Ansatz von " Mein Kuchen " fällt mit all den Verbrechen, die die Spieler zur Durchführung des Runs verüben müssen, unter die Kategorie der unmoralischen Kampagne, aber einen Hinweis auf den Shadowrun Kompendium sucht man hier vergeblich. Auch hier ist die Geschichte einfachster Machart und eigentlich nicht weiter erwähnenswert. Da hilft auch das Gerede von mittelgroßen Weltverschwörungen nicht weiter, außer das es nur noch lächerlicher wirkt.

Angesichts der hier vorgeschlagenen schmutzigen Methoden, die die Spieler verwenden sollen, um ans Ziel zu gelangen, ist die Veränderung, die die Spieler hier so großartig vollbringen sollen, mehr als zweifelhaft. Die Spieler in einer anderen Variante zu großen epischen Helden zu verklären, ist nicht nur völlig übertrieben und lächerlich, sondern wird dem Realitätsbezug des Shadowrun Univer-sums wie man es vor allem in den Werken von Nigel Findley und anderen wiederfindet, in keiner Weise gerecht. Die Spieler sind Schattenläufer, keine Superhelden - auch wenn beides mit S anfängt.

 

 

Dilettanten Olé:

 

Das letzte der hier vorgestellten Szenarien ist vielleicht für Anfänger oder für Spielleiter, die keine anderen vernünftigen Ideen für Abenteuer haben, interessant. Warum sich jemand freiwillig Steam-punk ( also Dampfpunk (?) ) nennt - keine Ahnung, aber viel Sinn macht es jedenfalls nicht. Auch der Rest der Idee wirkt recht schwach ( Obergähn ). Alles in allem eine brauchbare Idee, aber auch nicht mehr als das.

 

Christian Boisten