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Blut und Kirschblüten
oder Ein Hauch von Shadowrun

von Christian Boisten
Die Rechte liegen bei dem Autor.

> Hanna Sakura, Hito Wa Bushi <
Was unter den Blumen die Kirschblüte ist, ist unter den Menschen der Krieger.
Japanisches Sprichwort

Makiko Haromasa schritt langsam durch die Dunkelheit des Garten, der mit großer Sorgfalt nach japanischem Vorbild angelegt war. Obwohl nur der bleiche Vollmond am Himmel stand, ließen die Schatten erahnen, wie atemberaubend schön der Garten sein mußte.

In der Hand hielt sie eine Flasche Champagner und ein langstieliges Glas. Das schulterfreie Kleid aus weißer Seide, eng angeschmiegt an ihren weißen Körper, glitzerte im Mondlicht. Ihre langen schwarzen Haare verschwanden in der Dunkelheit. Einer Geistergestalt gleich glitt sie an den blühen-den Kirschbäumen vorbei auf den Karpfenteich in der Mitte des Gartens zu.

Leise Musik drang aus den überall im Garten versteckten Lautsprechern. Mozarts kleine Nacht-musik.

Das Mondlicht strahlte wie ein riesiger Scheinwerfer durch das gewaltige Kuppeldach, erhellte den Teich und den Garten ringsrum. Der Wintergarten war, vor allem bei Vollmond, so schön, daß man vergaß, daß man sich im 57 Stock eines Wolkenkratzers befand, der einem der mächtigsten Kon-zerne der Welt gehörte.

Makiko blieb am Karpfenteich stehen und betrachtete die Seerosen auf der Wasseroberfläche, die in voller Blüte standen. Sie blickte mit trauriger Mine zum Mond hinauf, dessen fahles Licht die Trä-nen in ihren Augen glitzern ließ. Seufzend füllte sie das Glas mit Champagner und stürzte den Inhalt in einem Zug hinunter.

Von ihr unbemerkt stand ein großer Mann im Schatten der Kirschbäume und beobachtete sie. Er hatte einen anderen Eingang zum Wintergarten genommen und die Bäume und Sträucher dazu be-nutzt, sich ihr unbemerkt zu nähern.

Die Nachtmusik verstummte. Kurz darauf wurde es durch Mozarts Requiem ersetzt. Makiko leerte ein zweites Glas.

Tzukahara seufzte innerlich. Äußerlich war an seiner strengen Mine keine Veränderung zu erken-nen. Ihre Stimmungsschwankungen waren kaum mitanzusehen. Tsukahara fühlte sich hilflos.

Er würde ihr so gerne helfen, ihr so unendlich gerne sagen, was sein Herz bewegte, wo und wann immer er sie sah. Doch er durfte es nicht.

Nicht als freischaffender Leibwächter, nicht als halber Gaijin und schon gar nicht bei einer Frau, die nicht nur so viel Wert auf ihre Stellung und ihren Beruf legte, sondern auch so erfolgreich war wie Makiko. Tsukahara hatte längst bemerkt, wie sehr Makiko in ihrer Managerposition aufging.

Der Konzern war ihr Leben. Doch um was für einen Preis. Makiko hatte weder einen Ehemann noch Kinder oder eine richtige Familie. Wie sie waren ihre Eltern einzig und allein damit beschäftigt, die Bilanzen des Konzerns in die Höhe zu treiben. Und dann ihr Freund.

Tsukaharas strenge Mine verfinsterte sich bei dem Gedanken an ihn. Er hätte ihn aus seinem Nagelstreifenanzug schlagen sollen, als er ihn mit dieser Sekretärin im Nebenzimmer eines Büros er-wischt hatte. Tsukahara fühlte das Gewicht des Katanas in seiner Hand.

Zu einer anderen Zeit, in einem anderen Leben hätte er ihn herausgefordert und ihm im Zwei-kampf den Kopf abgeschlagen.

Stattdessen hatte er genau das getan, was die Konzernetikette verlangt hatte. Er hatte sich wortlos umgedreht und war gegangen. Makiko davon zu erzählen war nicht seine Aufgabe, obwohl er es in Betracht gezogen hatte. Trotzdem hatte er es nicht übers Herz gebracht.

Gestern machte ihr Freund schließlich mit ihr Schluß. Er liebe eine andere, ganz einfach.

Und heute Nacht hatte sie sich vom Empfang gestohlen, um sich allein im Wintergarten zu betrin-ken. Tsukahara schüttelte bedächtig den Kopf.

Sie wird betrunken in den Teich fallen und in dem seichten Tümpel ertrinken, wenn du nicht auf sie aufpaßt, sagte seine innere Stimme.

Tsukahara war ein hochbezahlter freischaffender Leibwächter. Obwohl sehr traditionell ausgebil-det war er ein wahrer Spezialist auf seinem Gebiet. Man hatte seine besondere Begabung während der Ausbildung festgestellt und gefördert.

Er überlegte, ob er Makikos einsames Rendevouz mit der Flasche vorzeitig beenden sollte. Diese saß inzwischen auf dem perfekt geschnittenen Gras vor dem Teich und leerte ein weiteres Glas.

Sollte sie so weitermachen und in diesem Zustand wieder auf dem Empfang erscheinen, wäre ihre Karriere vorbei und er würde sich einen Verweis einhandeln, weil er es nicht verhindert hatte.

Eine solche Peinlichkeit konnte seinem Ruf schaden.

Ein Geräusch. Tsukahara war plötzlich hellwach. Er schloß die Augen, verdrängte alle störenden Gedanken und horchte hochkonzentriert in die Finsternis. Über ihm.

Tsukahara sah hinauf zum Kuppeldach. Eines der Oberlichter am Rand des Daches war geöffnet worden. Eine schwarz gekleidete Gestalt seilte sich von der Decke ab und landete lautlos auf der ge-genüberliegenden Seite des Karpfenteiches im Gebüsch. Er trat langsam aus dem Gebüsch heraus und näherte sich ebenso lautlos wie er von der Decke gekommen war dem Teich. Mondlicht fiel auf eine im Anschlag gehaltene Maschinenpistole. Makiko hatte ihn nicht bemerkt.

Tsukahara griff mit der linken Hand in seinen rechten Ärmel und zog das Wurfmesser heraus, das er in einer Unterarmscheide trug. Er sprang aus seiner Deckung hervor und warf.

Mit einem scharfen, knirschenden Geräusch durchschlug das Messer die Schutzbrille und drang in die rechte Augenhöhle. Die Wucht riß die Gestalt von den Beinen, doch sein Finger krümmte sich um den Abzug.

Tsukahara flog in einem langen Hechtsprung heran, packte Makiko und rollte mit ihr zur Seite, bevor die nahezu lautlose Garbe der Maschinenpistole den Rasen umpflügte. Unsichtbaren Händen gleich zerwühlten die Kugeln die Erde und ließen sie umherspritzen.

Vier weitere Schatten glitten lautlos von der Decke. Gezackte Mündungsfeuer blitzten auf. Ku-geln pfiffen durch den Wintergarten, sägten Büsche ab, pflügten weitere Erde um, entlaubten einige Bäume oder prallten jaulend von Steinen ab. Die einzigen Geräusche dabei waren das Rascheln der Büsche, das gelegentlich von einem Querschläger übertönt wurde.

Die vier Schatten landeten sanft auf dem Boden des Wintergartens und verteilten sich. Zwei von ihnen bewegten sich zu der Stelle, von Tsukahara und Makiko verschwunden waren. Nichts.

Mozarts Requiem erscholl immer noch aus den Lautsprechern, jetzt jedoch leiser als zuvor. Einige der Lautsprecher waren getroffen worden.

Einer der Schatten bewegte sich vom Teich weg und schlich langsam durch die Büsche, die Ma-schinenpistole im Anschlag. Er blieb stehen und lauschte angestrengt.

Eine langes, blitzendes Etwas zuckte aus dem Nichts hervor. Blut spritzte auf die großen Blätter des Gebüschs. Mit einem dumpfen Geräusch fiel der Kopf des Schattens zu Boden und rollte davon.

Der Körper des Schattens kippte einfach nach hinten um.

Tsukahara wischte die Klinge seines Schwerts am Hosenbein des Toten ab und verschwand wie-der in der Dunkelheit.

Ein weiterer Schatten tauchte auf. Er war weit unvorsichtiger als sein Vorgänger, bewegte sich schneller und hektischer. Vielleicht suchte er nach dem Toten.

Als er ihn schließlich fand, kniete er sich neben ihn hin und murmelte etwas in sein Kehlkopfmi-krophon. Kurz darauf erschienen die beiden anderen Schatten, um den Toten zu begutachten. Nach einer kurzen Absprache verschwanden die beiden anderen wieder in verschiedene Richtungen.

Der Dritte stand als Letzter auf, drehte sich um und erstarrte.

Eine gebogene Klinge trat neben seiner Wirbelsäule aus. Tsukahara stand mit grimmiger Mine vor ihm. Der Schatten begann, heftig zu zittern. Blut tropfte auf den Boden. Die Augen hinter der Schutzbrille waren geweitet. Nicht mehr als ein heiseres Röcheln war zu hören.

Tsukahara zog die Klinge wieder heraus. Blut schoß aus der Wunde und färbte den Boden rot.

Der Schatten fiel auf die Knie, dann nach vorne aufs Gesicht. Tsukahara schwang sein Schwert über den Kopf, ließ dabei den Griff durch seine Hände gleiten, so daß die Klinge nach unten gerichtet war. Mit dem Geräusch zerplitternder Knochen fuhr die keilförmige Spitze zwischen die Schulter-blätter des Schattens. Nach einem kurzen Zucken regte dieser sich nicht mehr.

Mündungsfeuer erhellte den Garten erneut. Tsukahara verschwand in der Dunkelheit. Die beiden verbleibenden Schatten näherten sich. Einer von ihnen kniete sich nieder und wischte mit dem be-handschuhten Zeigefinger durch eine kleine Blutlache, die zu einer dünnen, roten Spur gehörte, die vom zweiten Toten wegführte. Sie hatten ihn getroffen.

Einer der beiden Schatten folgte der Spur. Der andere suchte in einem anderen Teil des Gartens.

Plötzlich ertönte Geschrei. Der zweite Schatten hatte Makiko entdeckt und zerrte sie aus ihrem Versteck hervor, einem kurzen waagerechten Schacht hinter einem versteckten Lüftungsgitter.

Noch halb im volltrunkenen Zustand schlug Makiko ihrem Angreifer die Champagnerflasche auf den Kopf, riß sich los und rannte. Doch ihr Zustand, die damit zusammenhängende Verwirrung und nicht zuletzt das Abendkleid ließen sie nicht weit kommen.

Der andere Schatten, über Funk verständigt, fing sie ab und brachte sie vor dem Karpfenteich zu Fall. Er riß sie auf die Beine und hielt ihr eine große Pistole an den Kopf. Mit Tränen in den Augen und bebender Stimme rief Makiko nach Tsukahara.

Kurz darauf trat dieser auf der gegenüberliegenden Seite des Teiches aus dem Gebüsch, das Schwert in der Scheide in der linken Hand haltend.

Beide Schatten eröffneten das Feuer. Die Wucht der Einschläge schleuderte Tsukahara mit ausge-breiteten Armen ins Gebüsch zurück, wo die Geräusche brechenden Geästs seinen Aufprall verkün-deten. Makiko schrie auf und wollte sich losreißen, doch der Schatten packte sie bei den Haaren und hielt sie so zurück. Er gab dem zweiten Schatten einen Wink.

Dieser pirschte sich vorsichtig an die Stelle heran, an der Tsukahara verschwunden war. Die Stelle war plattgewalzt, aber Tsukahara war nicht da. Der Schatten fand ein weißes, blutverschmiertes Hemd, ein blutiges, völlig zerfetztes Jackett und Teile einer maßgeschneiderten Körperpanzerung. Er nahm den Brustpanzer und hielt ihn wie eine Trophäe hoch in die Luft, so daß sein Partner ihn sehen konnte.

Dann entglitt das Stück Panzerung seiner Hand. Der Schatten schrie urplötzlich auf, taumelte mehrere Schritte zurück und hielt sich dabei mit beiden Händen den Bauch. Immer noch fürchterlich schreiend drehte er sich zu Makiko und seinem Partner um.

Erst jetzt sahen die beiden, daß der Mann versuchte, seine Einweide festzuhalten, die aus der auf-geschlitzten Bauchdecke quollen.

Ein gewaltiger Kampfschrei erscholl, eine lange gebogene Klinge erblitzte für Sekunden im Mond-licht. Tsukahara sprang direkt hinter dem immer noch schreienden Schatten aus dem Gebüsch.

Die Klinge fuhr durch seine rechte Schulter, trat an seiner linken Seite wieder aus und trennte ihn in zwei Hälften. Alles war voller Blut.

Der verbleibende Schatten gab mit der Pistole ein paar Schüsse in Tsukaharas Richtung ab, nach-dem er einige Sekunden gebraucht hatte, um über den Anblick des Blutbades hinwegzukommen.

Tsukahara wurde in den Oberschenkel getroffen und brach ein. Der Schatten stellt verblüfft fest, daß der Schlitten seiner Pistole hängenblieb. Sie war leer.

Mit einem trotzig-grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht stützte Tsukahara sich auf sein Schwert und stellte sich wieder auf beide Beine.

Mit lauten Atemgeräuschen, die an das Knurren eines Tieres erinnerten, humpelte Tsukahara auf den Karpfenteich zu, die Augen starr auf den letzten Schatten gerichtet.

Bleiches Mondlicht fiel auf seinen bloßen Oberkörper, der mit Ausnahme beider Arme vollständig tätowiert war. Asiatische Drachen, Dämonen und Geister in verschiedensten Farben tummelten sich auf der Haut, unter der sich Muskeln wie Stahlseile spannten.

Der Schatten warf das leere Magazin der Pistole aus, legte ein neues ein und betätigte den Fang-hebel. Der Schlitten schnellte in seine ursprüngliche Position zurück und lud automatisch die nächste Kugel in den Lauf.

Makiko griff nach der Waffe und versuchte, sie dem Schatten zu entreißen. Tsukahara erkannte seine Chance und umrundete den Teich. Der Schatten stieß Makiko weg und riß die Waffe hoch.

Tsukahara sprang vor und erwischte die Pistole mit seinem Schwert, die ihrem Besitzer aus der Hand flog und im Karpfenteich landete. Tsukahara wich einem Tritt des Schattens aus, drehte sich um die eigene Achse und rammte ihm den Knauf seines Schwertes in die Seite.

Der Schatten packte Tsukahara, worauf beide Männer das Gleichgewicht verloren und in den Teich stürzten. Kämpfend wälzten sich die beiden durch das seichte Wasser. Tsukahara verlor sein Schwert.

Der Schatten rammte Tsukahara das Knie in die Weichteile, worauf dieser mit einem Ellenbogen-stoß unter die Kinnlade des anderen konterte und ihn wegstieß.

Der Schatten trat nach ihm. Tsukahara fing den Tritt ab, zog dem Mann das Standbein weg und drückte ihn unter Wasser. Luftblasen stiegen auf.

Der Schatten strampelte und kämpfte verzweifelt. Tsukahara drückte ihn noch fester auf den Grund des Teiches. Die Hände des Mannes griffen nach Tsukaharas Gesicht, schlugen gegen seine Unterarme und versuchten verzweifelt, den Griff zu lösen.

Schließlich verebbte das Gestrampel allmählich. Die Bewegungen der Hände wurde langsamer und hörten schließlich ganz auf. Zwei gebrochene Augen starrten Tsukahara durch die Schutzbrille an.

Dieser lößte den Griff und ließ den Toten auf dem Grund des Teiches liegen, dessen Wasser sich von Tsukaharas Blut rötlich gefärbt hatte.

Mit letzter Kraft zog er sich aus dem Teich und blieb atemlos auf dem Rasen liegen.

Makiko griff in den Teich, zog sein Schwert heraus und überreichte es ihm.

Tsukahara stützte sich darauf und stellte sich mit Makikos Hilfe wieder auf die Beine. Auf sie und sein Schwert gestützt verließen Tsukahara und Makiko den Garten.

Eine einzelne Kirschblüte fiel von einem der Bäume am Karpfenteich und trieb auf rötlichen Wasser, das im fahlen Mondlicht glitzerte.


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